«Die haben Zahnpasta verkauft»
Zwei Mitglieder von Radiohead über ihren Auszug aus der Musikindustrie
Von Marcel Anders
Die Stars verlassen das sinkende Schiff: Madonna wechselt zu einer Konzertagentur, die britische Kult-Band Radiohead bietet ihr neues Album «In Rainbows» ohne Plattenfirma übers Internet an. Die traditionelle Musikindustrie steht mit abgesägten Hosen da. Aber lohnt sich der Alleingang für die Bands? Die zwei Radiohead-Mitglieder Johnny und Colin Greenwood ziehen nach knapp zwei Monaten Bilanz.
Johnny und Colin Greenwood, wer das neue Radiohead-Album herunterlädt, zahlt nur so viel, wie er will. Liegt da noch ein Profit drin?
Colin Greenwood: Definitiv. Das Ergebnis ist ungefähr dasselbe, als wenn wir eine CD in die Läden gestellt hätten. Auch online gab es dieselbe Anfangseuphorie – gefolgt von einem merklichen Rückgang nach den ersten Wochen. Es wird aber noch immer heruntergeladen.
Und auch bezahlt?
Colin Greenwood: Etwa fünfzig Prozent der Downloader bezahlen etwas.
Wie viel?
Das schwankt enorm. Ich kenne die aktuellen Zahlen nicht.
Laut einer Download-Statistik sollen es rund sieben Franken pro Album sein. Ist das genug?
Colin Greenwood: Es ist schon ein grosses Risiko für uns. Aber wir wollten die Frage stellen, was Musik eigentlich wert ist. CDs, die völliger Mist sind, sind ja genauso teuer wie ein Album von Bob Dylan. Das ist absurd. Ticketpreise für Konzerte sind ja auch unterschiedlich hoch. Der Wert richtet sich nach dem Künstler.
Bestand für Radiohead überhaupt ein Anlass, den Vertrag mit Parlophone nicht mehr zu verlängern? Sie sind ja eine der grössten Rockbands der Welt.
Jonny Greenwood: Ja, aber wir sind denen viel zu anspruchsvoll und verquer geworden. Immer öfter kamen Fragen wie: «Wann schreibt ihr wieder richtige Songs?» Ständig wechseln an der Spitze die Manager, die dann nicht kapieren, dass wir nach «OK Computer» alles gesagt hatten, was sich mit Gitarre, Bass und Schlagzeug sagen lässt. Es geht uns nicht um eine Verweigerung, sondern um Weiterentwicklung.
Ihre Aktion hat Radiohead
den Ruf als Totengräber der Musikindustrie eingehandelt.
Jonny Greenwood: Der Musikindustrie geht es immer noch gut. Aber sie schafft es nicht, einen physischen Tonträger in ein Geschäft zu stellen und ihn zu bewerben. Kein Wunder: Die neuen Kader haben vorher alle Zahnpasta verkauft oder Autobahn-Restaurants geleitet. Momentan passieren solche Wechsel immer häufiger. Das ist nicht gesund.
Colin Greenwood: Wir würden nie wieder einen Vertrag über fünf Alben unterschreiben. Das ist schlichtweg überholt. Über das Internet können wir eine unmittelbare Beziehung zu den Menschen aufbauen, die unsere Musik mögen. Wir brauchen keine Plattenfirma mehr, die zwischen uns und den Fans steht.
Ist es überhaupt noch möglich, dem veränderten Konsumverhalten der Fans zu folgen?
Colin Greenwood: Es ist sehr schwierig. Die Begeisterung für Musik richtet sich heute nicht mehr nur auf ein Album, sondern auf andere Dinge wie Computerspiele, das Internet, DVDs, Klingeltöne und so weiter. Das ist das Hauptproblem der Musikindustrie, für uns aber ist es auch eine Chance. Youtube etwa ist für Künstler und Fans sehr wichtig, obwohl die Qualität äusserst mies ist.
Jetzt kommt «In Rainbows» doch noch als CD heraus. Ist das nicht ein Widerspruch?
Johnny Greenwood: Nein, es gibt da draussen eben immer noch Leute, die sich dem Medium Internet verweigern. Denen kommen wir entgegen. Wir haben den Download nicht als Appetithäppchen für die CD verstanden. Wir reichen sie nach, weil es eine riesige Nachfrage gibt. Mehr nicht. Wir selbst wären mit dem Download vollkommen zufrieden.
Die CD «In Rainbows» erscheint am 28.12. (Musikvertrieb)
Jonny (l.), Colin Greenwood: «Wir brauchen keine Plattenfirma mehr, die zwischen uns und den Fans steht»
Quelle: http://www.sonntagszeitung.ch/nachrichten/artikel-detailseiten/?newsid=898
Zwei Mitglieder von Radiohead über ihren Auszug aus der Musikindustrie
Von Marcel Anders
Die Stars verlassen das sinkende Schiff: Madonna wechselt zu einer Konzertagentur, die britische Kult-Band Radiohead bietet ihr neues Album «In Rainbows» ohne Plattenfirma übers Internet an. Die traditionelle Musikindustrie steht mit abgesägten Hosen da. Aber lohnt sich der Alleingang für die Bands? Die zwei Radiohead-Mitglieder Johnny und Colin Greenwood ziehen nach knapp zwei Monaten Bilanz.
Johnny und Colin Greenwood, wer das neue Radiohead-Album herunterlädt, zahlt nur so viel, wie er will. Liegt da noch ein Profit drin?
Colin Greenwood: Definitiv. Das Ergebnis ist ungefähr dasselbe, als wenn wir eine CD in die Läden gestellt hätten. Auch online gab es dieselbe Anfangseuphorie – gefolgt von einem merklichen Rückgang nach den ersten Wochen. Es wird aber noch immer heruntergeladen.
Und auch bezahlt?
Colin Greenwood: Etwa fünfzig Prozent der Downloader bezahlen etwas.
Wie viel?
Das schwankt enorm. Ich kenne die aktuellen Zahlen nicht.
Laut einer Download-Statistik sollen es rund sieben Franken pro Album sein. Ist das genug?
Colin Greenwood: Es ist schon ein grosses Risiko für uns. Aber wir wollten die Frage stellen, was Musik eigentlich wert ist. CDs, die völliger Mist sind, sind ja genauso teuer wie ein Album von Bob Dylan. Das ist absurd. Ticketpreise für Konzerte sind ja auch unterschiedlich hoch. Der Wert richtet sich nach dem Künstler.
Bestand für Radiohead überhaupt ein Anlass, den Vertrag mit Parlophone nicht mehr zu verlängern? Sie sind ja eine der grössten Rockbands der Welt.
Jonny Greenwood: Ja, aber wir sind denen viel zu anspruchsvoll und verquer geworden. Immer öfter kamen Fragen wie: «Wann schreibt ihr wieder richtige Songs?» Ständig wechseln an der Spitze die Manager, die dann nicht kapieren, dass wir nach «OK Computer» alles gesagt hatten, was sich mit Gitarre, Bass und Schlagzeug sagen lässt. Es geht uns nicht um eine Verweigerung, sondern um Weiterentwicklung.
Ihre Aktion hat Radiohead
den Ruf als Totengräber der Musikindustrie eingehandelt.
Jonny Greenwood: Der Musikindustrie geht es immer noch gut. Aber sie schafft es nicht, einen physischen Tonträger in ein Geschäft zu stellen und ihn zu bewerben. Kein Wunder: Die neuen Kader haben vorher alle Zahnpasta verkauft oder Autobahn-Restaurants geleitet. Momentan passieren solche Wechsel immer häufiger. Das ist nicht gesund.
Colin Greenwood: Wir würden nie wieder einen Vertrag über fünf Alben unterschreiben. Das ist schlichtweg überholt. Über das Internet können wir eine unmittelbare Beziehung zu den Menschen aufbauen, die unsere Musik mögen. Wir brauchen keine Plattenfirma mehr, die zwischen uns und den Fans steht.
Ist es überhaupt noch möglich, dem veränderten Konsumverhalten der Fans zu folgen?
Colin Greenwood: Es ist sehr schwierig. Die Begeisterung für Musik richtet sich heute nicht mehr nur auf ein Album, sondern auf andere Dinge wie Computerspiele, das Internet, DVDs, Klingeltöne und so weiter. Das ist das Hauptproblem der Musikindustrie, für uns aber ist es auch eine Chance. Youtube etwa ist für Künstler und Fans sehr wichtig, obwohl die Qualität äusserst mies ist.
Jetzt kommt «In Rainbows» doch noch als CD heraus. Ist das nicht ein Widerspruch?
Johnny Greenwood: Nein, es gibt da draussen eben immer noch Leute, die sich dem Medium Internet verweigern. Denen kommen wir entgegen. Wir haben den Download nicht als Appetithäppchen für die CD verstanden. Wir reichen sie nach, weil es eine riesige Nachfrage gibt. Mehr nicht. Wir selbst wären mit dem Download vollkommen zufrieden.
Die CD «In Rainbows» erscheint am 28.12. (Musikvertrieb)
Jonny (l.), Colin Greenwood: «Wir brauchen keine Plattenfirma mehr, die zwischen uns und den Fans steht»
Quelle: http://www.sonntagszeitung.ch/nachrichten/artikel-detailseiten/?newsid=898